Georg Elias Müller und Alfons Pilzecker veröffentlichten 1900 eine Monographie, in der Berichte über vierzig Experimente zum Erlernen, Vergessen und Erinnern enthalten waren (Müller, Pilzecker 1900). In einem dieser Experimente zur Gedächtniskonsolidierung mussten ihre Teilnehmer eine Liste von sinnlosen Silben lernen. Danach musste eine Gruppe der Probanden eine zweite Liste lernen, während die andere sechs Minuten lang eine Pause machte. Eineinhalb Stunden später wurden beide Gruppen getestet, wobei sich die Gruppe mit der Pause nahezu 50% ihrer Silbenliste gemerkt hatten, während die anderen Gruppe nicht einmal 30 % erreicht hatte.
Diese Ergebnisse zeigen nachhaltig, wie wichtig es ist, dem Gehirn immer wieder Zeit zu geben, das Gelernte zu verarbeiten. Allerdings ist es wichtig, in diesem Pausen nicht andere Tätigkeiten auszuführen, sondern tatsächlich einfach ruhig zu sitzen und nichts zu tun – und wenn möglich, dabei auch nichts zu denken. Wenn es beim Lernen gelingt, einen solchen Pausenrhythmus zu entwickeln bzw. auch durchzuhalten, kann man seine Lernleistung auf Dauer enorm steigern.
Pausen beim Erlernen motorischer Fertigkeiten
Viele Fertigkeiten, wie die Bedienung des Smartphones, das Schreiben auf einer Tastatur oder Fahrradfahren führt man tagtäglich automatisch und ohne Nachdenken aus, wobei solche motorische Abläufe anfangs durch wiederholtes Üben erworben werden müssen. Das motorische Lernen erfolgt dabei sowohl während des aktiven Übens neuer Abläufe, als auch in den Pausen danach, obwohl nicht weiter geübt wird. Diese Pausen sind besonders wichtig, denn hier konsolidiert sich das Gelernte, so dass es später wieder abgerufen werden kann. Rumpf et al. (2019) zeigten nun, dass dieses Verfestigen der geübten Abläufe vermutlich bereits während kurzer Unterbrechungen des Übens einsetzt und durch Hirnstimulation noch verbessert werden kann. Bisher ging man davon aus, dass die Stabilisierung von gelernten motorischen Abläufen erst einsetzt, wenn das Üben beendet ist und dann über mehrere Stunden abläuft. In einer Studie mit ProbandInnen, deren Aufgabe es war, eine einfache Zahlen-Abfolge auf einer Tastatur möglichst schnell und korrekt einzutippen, wurden während des Übens nach einer bestimmten Anzahl von getippten Zahlenabfolgen jeweils kurze Pausen gemacht. Mittels magnetischer Stimulation durch die Schädeldecke wurde die motorische Hirnrinde gezielt nur in den kurzen Pausen zwischen den einzelnen Übungseinheiten beeinflusst. Es zeigte sich, dass die Hirnstimulation während der Pausen den Wiederabruf der gelernten Zahlenabfolge sechs Stunden später verbesserte, obwohl die Probanden während der sechsstündigen Pause nicht mehr weiter geübt hatten, d. h., es verarbeitete das Gehirn die erworbenen Abläufe nach der Übungseinheit effektiver und legte eine stabilere Gedächtnisspur an. Man fand auch einen Transfereffekt von der trainierten Hand auf die andere Hand, denn wenn das Gehirn in den Pausen zwischen den kurzen Übungseinheiten stimuliert wurde, konnte die geübte Zahlen-Abfolge nicht nur mit der trainierten Hand besser abgerufen werden, sondern auch mit der anderen Hand. Diese Forschungsergebnisse legen nahe, dass bereits in den kurzen Pausen während des Übens Wissen über die neuen motorischen Abläufe im Gehirn abgelegt wird. Man vermutet, dass durch diese Lernvorgänge, die auf neurobiologischer Basis die Erweiterung von chemischen Vorgängen darstellen, die Synapsen neu verknüpft werden und neuronale Netze bilden, die durch Pausen wahrscheinlich entsprechend gestärkt werden.
Buch et al. (2021) haben in Lernversuchen die Magnetoenzephalographie während des Erwerbs und der schnellen Konsolidierung einer sequenziellen motorischen Fertigkeit aufgezeichnet. Dabei mussten die Probanden wiederholt eine Zahlenfolge auf einer Computertastatur abtippen, wobei sie in insgesamt 36 Übungseinheiten von jeweils zehn Sekunden Dauer lernen sollten, die Tastenkombination so schnell wie möglich abzutippen. Nach jeder Übungseinheit folgte eine genauso lange Pause, wobei man die Gehirnaktivität mittels Magnetoenzephalografie aufzeichnete. Zur Anwendung kam dabei auch ein Dekodierpogramm, mit dem zunächst innerhalb der Daten erfasst wurde, in der Gehirnaktivität zu erkennen, wann welche Taste gedrückt wurde. Im nächsten Schritt analysierte dieser Dekodierer die Gehirnaktivität der Versuchspersonen während der Pausen und suchte die Daten nach dem Aktivitätsmuster ab, das es zuvor gelernt hatte.
Man fand in den Daten eine auffällige, schnelle neuronale Wiederholung im Wachzustand während der gleichen Ruhephasen, in denen eine schnelle Konsolidierung stattfindet. Die beobachtete Wiederholung war dabei zeitlich um das 20-fache im Vergleich zur erworbenen Fähigkeit komprimiert, war auch selektiv für die trainierte Sequenz und sagte das Ausmaß der Fähigkeitskonsolidierung voraus. Wiederholungsrepräsentationen erstreckten sich dabei über den Hippocampus und den entorhinalen Cortex hinaus auf den kontralateralen sensomotorischen Cortex. Diese Ergebnisse belegen daher das Vorhandensein einer robusten hippocampo-neokortikalen Wiederholung, die eine schnelle Konsolidierung von Fähigkeiten im Wachzustand unterstützt.
Literatur
Buch, Ethan R., Claudino, Leonardo, Quentin, Romain, Bönstrup, Marlene & Cohen, Leonardo G. (2021). Consolidation of human skill linked to waking hippocampo-neocortical replay. Cell Reports, 35, doi:10.1016/j.celrep.2021.109193.
Müller, G. E. & Pilzecker, A. (1900). Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Gedächtnis. Zeitschrift für Psychologie, Ergänzungsband 1, 1-300.
Rumpf, J.-J., May, L., Fricke, C., Classen, J. & Hartwigsen, G. (2019). nterleaving Motor Sequence Training With High-Frequency Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation Facilitates Consolidation. Cerebral Cortex, doi:10.1093/cercor/bhz145.
https:// bemerkt.stangl-taller.at/pausen-sind-wichtig-aber-es-kommt-auf-die-laenge-an.