Innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Aufnahme neuer Informationen geht bereits die Hälfte davon wieder verloren. Dieses Phänomen erklärt, warum die Erinnerung an Lerninhalte aus Unterricht oder Vorlesungen nach einer längeren Zeitspanne, beispielsweise einer Woche, oft nur noch fragmentarisch vorhanden ist und die Details der ursprünglichen Lernsitzung verblassen. Diese rasche Abnahme der Erinnerungsfähigkeit wird anschaulich durch die sogenannte Vergessenskurve dargestellt, die maßgeblich auf die Arbeiten des Psychologen Hermann Ebbinghaus zurückgeht. Ebbinghaus führte im späten 19. Jahrhundert bahnbrechende Selbstversuche zum menschlichen Gedächtnis durch und dokumentierte den exponentiellen Abfall der Erinnerungsleistung über die Zeit, wenn keine Wiederholung erfolgt (Ebbinghaus, 1885).
Das Positive an dieser natürlichen Vergessenskurve ist jedoch, dass sie aktiv beeinflusst werden kann. Durch die bewusste Anpassung der Zeitintervalle, in denen der Lernstoff wiederholt wird, lässt sich der Vergessensprozess verlangsamen und die langfristige Speicherung der Informationen verbessern. Unser Gehirn zeigt eine besonders hohe Lernbereitschaft, wenn es mit einer gewissen kognitiven Herausforderung konfrontiert wird. Dies ist der Fall, wenn bereits eine leichte Vergessensphase eingetreten ist und der Lernstoff dann erneut abgerufen und gefestigt wird. Als ideale Wiederholungsintervalle haben sich beispielsweise die erste Wiederholung etwa einen Tag nach dem Lernen, die zweite nach drei Tagen, die dritte nach einer Woche und eine weitere nach etwa einem Monat erwiesen. Diese Zeitangaben dienen als Richtwerte und können je nach individuellem Lernverhalten und der Art des Lernmaterials leicht variieren. Entscheidend ist das Prinzip, die Zeiträume zwischen den Wiederholungen allmählich zu verlängern.
Moderne Lernwerkzeuge und Softwarelösungen nutzen dieses Prinzip der verteilten Wiederholung (Spaced Repetition). Nutzer erstellen beispielsweise digitale Karteikarten, die ihnen in optimierten Zeitabständen zur Wiederholung präsentiert werden. Die Software berücksichtigt dabei den individuellen Lernfortschritt und die Schwierigkeit der jeweiligen Inhalte, um den Zeitpunkt der nächsten Wiederholung so zu planen, dass er für die Festigung des Wissens am effektivsten ist.
Literatur
Ebbinghaus, H. (1885). Über das Gedächtnis: Untersuchungen zur experimentellen Psychologie. Duncker & Humblot.
Stangl, W. (2007, 15. April). Vergessen Gedächtnis Erinnern. [werner stangl]s arbeitsblätter.
https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEDAECHTNIS/Vergessen.shtml