Der effektive Abruf des Wissens aus dem Langzeitgedächtnis ist von entscheidender Bedeutung für jegliche Gedächtnisleistung. Lediglich fünf Informationskanäle stehen dem ungeheuren Reservoir des Langzeitgedächtnisses gegenüber, wobei die Einschränkung dadurch noch größer wird, dass immer ein bis zwei Informationskanäle belegt sind, um die aktuelle Situation zu managen, und nicht für Abrufprozesse zur Verfügung stehen.
So beobachtet man etwa während einer Prüfung den Prüfer oder die Prüferin, um daraus geeignete Strategien für das weitere Vorgehen abzuleiten. Dadurch werden entsprechende Kapazitäten im Arbeitsspeicher gebunden. Tatsächlich gibt es häufig Probleme beim Abruf von Informationen, d. h., man erinnert sich nicht (Denkhemmung, black out). Hier wirkt sich die Begrenztheit des Arbeitsspeichers mitunter drastisch aus. Dabei läuft der größte Teil des Abrufprozesses, d. h. des Erinnerns, unbewusst ab. Man spricht hier von einer sich von selbst ausbreitenden Aktivierung des Gedächtnisses. Lässt man auf eine Wasseroberfläche Steine hineinfallen, breiten sich kreisförmige Wellen nach allen Seiten aus, die sich an manchen Stellen überschneiden und dort besondere Wellenberge verursachen. Analog kann man sich einen Begriff im Arbeitsspeicher vorstellen, der gleich einem Stein ins Langzeitgedächtnis fällt und gleich einer Welle alle mit diesem Begriff assoziierten Informationen im Langzeitgedächtnis aktiviert. Begriffe, die stärker miteinander verbunden sind bzw. näher am Ursprungsbegriff liegen, werden stärker aktiviert.
Einmal angedacht laufen viele Aktivitäten im Gedächtnis wie Suchprozesse oder Verknüpfungen unbewusst weiter. Dies erklärt auch, warum man sich oft mit Verspätung an etwas Bestimmtes erinnert, denn ein gesuchter Name etwa liegt einem auf der Zunge, fällt einem aber nicht mehr ein. Zwei Stunden später wie aus heiterem Himmel ist der Name plötzlich da, obwohl man gar nicht mehr daran gedacht hat. Die Erregungswellen bzw. Aktivierungen folgen der Struktur des Netzwerks Gedächtnis, woraus sich die große Bedeutung der Struktur des Netzwerks ergibt, da über eine gute effiziente Organisation des Wissens diese unbewussten Prozesse gesteuert werden und die relevante Information automatisch aktiviert wird. Daher ist die Organisation des Wissens im Langzeitgedächtnis von so großer Bedeutung für die Abrufprozesse und damit letztlich für die Effizienz des vorhandenen Wissens.
Daher ist es wichtig ist, den Lernstoff schon beim Lernen eng zu vernetzen und sinnvoll zu strukturieren, wobei schon vor dem Lernen eine gute Struktur im Gedächtnis vorhanden sein sollte, die man sich aber aktiv zuvor erarbeiten muss. Die Erarbeitung einer solchen Struktur ist für den Abrufprozess des Wissens von großer Wichtigkeit und kann im engeren Sinn als zentrale Lerntechnik angesehen werden.