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Bewegung bringt Schwung ins Lernen

Sprache lernen im Vorübergehen! Lernposter

Langes Sitzen wirkt ermüdend. Besonders Jugendliche und Kinder würden noch mehr Bewegung brauchen, um sich wohl zu fühlen als Erwachsene. Dennoch erwartet man, dass Schülerinnen und Schüler schon am Schulweg im Bus still sitzen, genauso während des Unterrichts und am Nachmittag soll es bei den Hausübungen und beim Leren ebenso weitergehen.

Unser Gehirn kann besser denken, lernen und aufmerksam sein, wenn es mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird. Sauerstoff wird beim Atmen in die Lungen gepumpt und gelangt über das Blut ins Gehirn. Bei einem Mangel an Sauerstoff sinkt die Arbeitsleistung unseres Gehirns ab und wird erhöht, wenn wir unserem Gehirn wieder Sauerstoff zuführen.

Bewegung beim Lernen Am besten geht das mit Bewegung. Beim Sitzen nimmt der Körper ungefähr einen Viertelliter Sauerstoff in der Minute auf, beim Spazierengehen schon einen halben Liter, und bei einem Dauerlauf sogar zwei Liter in der Minute. Wenn man beim lernen also schon sitzen muss, dann sollte man wenigstens häufig die Position wechseln, tief durchatmen, einmal kurz aufstehen oder sich strecken. Sinnvoll ist es auch, zwischendurch ein paar Bewegungspausen einzuplanen oder Lernphasen mit Spazierengehen zu kombinieren.

Ergebnisse empirischer Studien (Zimmer, 2009) zeigen auch den positiven Einfluss sportlicher Aktivitäten auf die kindliche Entwicklung im Hinblick auf Sprachentwicklung. Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen motorischer und sprachlicher Leistung, denn je ausgeprägter die motorischen Fähigkeiten eines Kindes sind, desto besser ist die Leistung beim Verstehen von Sätzen und beim Satzgedächtnis. Zudem gibt es eine Übereinstimmung zwischen dem phonologischen Arbeitsgedächtnis und der Gedächtnisspanne für Wortfolgen mit der feinmotorischen Geschicklichkeit. Daraus kann abgeleitet werden, dass die feinmotorische Ausprägung und die Sprachentwicklung bei Kindern parallel laufen.

Es ist natürlich gefährlich, mit einem Buch in der Hand über die Straße zu laufen, aber der eine oder andere Lernstoff lässt sich durchaus im Gehen an der frischen Luft bewältigen. Zum Beispiel Vokabeln bzw. Sprachen – entweder akustisch mittels CD- oder MP3-Piayer oder auch mit Hilfe einer Vokabelkartei. Ein Stapel von zwanzig bis dreißig Karteikarten kann leicht mitgenommen werden und nach einem kurzen Spaziergang ist das Gehirn frisch und munter und die Wörter sind gespeichert.

Auch andere Lernstoffe können in handlichen Kärtchen zusammengefasst und während eines Spazierganges memoriert werden, wie range Aufzählungen von Begriffen oder Gedichte.

Schon Philosophen wussten den VorteiI der Bewegung zu schätzen, sie versammelten Studenten um sich und gingen spazieren. Komplizierte Themen werden auch von Managern gerne im Gehen besprochen und Schauspieler lernen umfangreiche Texte am besten gehend. Wer über etwas konzentriert nachdenkt, geht häufig ganz unbewusst im Raum herum,denn unser Körper ist von Natur aus für Bewegung gebaut (www.lerntipp.at).

Gefunden in den Oberösterreichischen Nachrichten vom 2. März 2012 unter dem Titel „Werbung“ 😉


https://pbs.twimg.com/media/Bw9UC3FCMAAg1NR

Muskelaktivität fördert übrigens auch die Neubildung von Blutgefäßen im Gehirn, sodass dieses besser mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt wird, was einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von Demenzkrankheiten und Parkinson hat. Regelmäßige Bewegung ist dabei eines der ganz wenigen Mittel, das präventiv gegen Demenz wirkt. Medizinisch bedeutet Demenz eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Gedächtnis, räumliches Orientierungsvermögen und das Sprachvermögen zunehmend beeinflusst werden, wobei die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen „ohne Verstand sein“ lautet, d. h., der oder die Betroffene verliert die Kontrolle über das Denken und damit über sich selbst. Übrigens nimmt die Häufigkeit von Demenzerkrankungen mit dem Lebensalter zu, denn sind in der Altersgruppe von 70 bis 74 Jahren noch unter vier Prozent betroffen, so sind es bei den 80- bis 84-Jährigen bereits mehr als 15 Prozent, bei den über 90-Jährigen mit 41 Prozent sogar rund zwei Fünftel. In Einzelfällen können aber auch unter 65-Jährige an einer Demenz erkranken.

Ein bewegter Muskel schützt nach Ansicht von Medizinern bis zu einem gewissen Grad auch vor den silent inflammations, also jenen stillen Entzündungen im Körper, die an der Entstehung einer Reihe von Krankheiten wie der Arteriosklerose, Zuckerkrankheit oder Krebs beteiligt sind. Ein aktive bewegter Muskel produziert die hormonähnlichen Substanzen Myokine, die eine anti-entzündliche Wirkung haben.

Eine weitere mögliche Erklärung, warum Bewegung das Lernen unterstützt, könnte das Enzym Cathepsin B sein, das beim Laufen vermehrt in den Muskeln entsteht und Gene zu aktivieren scheint, die die Neubildung bestimmter Hirnzellen anregen. Man ließ Probanden vier Monate trainieren und konnten dann tatsächlich einen gestiegenen Enzymspiegel feststellen. Neben dieser positiven Wirkung des Cathepsin B darf man aber auch mögliche negative Effekte des Enzyms nicht außer Acht lassen, denn verschiedene neurologische Erkrankungen sind mit einem Anstieg des Cathepsin-Spiegels verbunden. Wahrscheinlich ist die Aktivität des Enzyms im gesunden Organismus streng reguliert und die Konsequenzen einer verstärkten Produktion könnten von anderen noch unbekannten Zusatzfaktoren abhängig sein.

Unterricht auf dem Fahrrad-Ergometer

Im Main-Echo vom 20. Jänner 2016 fand sich ein interessanter Beitrag über ein Dessauer-Gymnasium, in dem SchülerInnen den Unterricht auch auf Fahrrad-Ergometern verfolgen. Neben den bereits eingeführten Sportklassen soll ab Herbst 2016 erstmals eine sogenannte Ergometer-Klasse für die fünfte Jahrgangsstufe entstehen. Auch der Direktor der Schule waram Anfang skeptisch, als ihm Sportlehrer Tobias Bauer vom Konzept des Wiener Sportwissenschaftlers Martin Jorde berichtet habe. Sportlehrer Tobias Bauer und seine 15 Oberstufenschüler, die im P-Seminar »Ergometerklasse« das Projekt begleiten, sind überzeugte Verfechter des Bewegungsmodells: „Gesundheit, Blutwerte, Konzentration der Schüler würden gefördert, ihr Sozialverhalten habe sich verbessert, es gebe weniger Aggressionen, größere Ausgeglichenheit. Sogar die Schulnoten hätten sich im Vergleich zu Kontrollklassen deutlich gesteigert.“ Der Unterricht in einer Ergometerklasse sieht dabei nicht viel anders als in normalen fünften Klassen, denn jedes Fach, das im Klassenzimmer unterrichtet wird, eignet sich dafür, zum Beispiel Deutsch, Mathematik, Englisch oder Religionslehre. In der letzten Reihe des Klassenzimmers werden sechs Ergometer aufgestellt, auf denen abwechselnd immer sechs Schüler treten. Jedes Kind ist bei durchschnittlich sechs Unterrichtsstunden am Tag etwa eine Schulstunde in Bewegung. Durch spezielle Schreibpulte soll es den radelnden Schülern möglich sein, im Unterricht mitzuschreiben. Stundenzahl und Lehrstoff bleiben im Vergleich zu herkömmlichen fünften Klassen unverändert.

Fahrradfahren und Lernen

Bekanntlich kann körperliche Bewegung die Gedächtnisbildung unterstützen, allerdings zeigen Untersuchungen, dass es darauf ankommt, dass man die Bewegung zum richtigen Zeitpunkt macht, und zwar einige Stunden nach dem Lernen. Bei einem Experiment (Van Dongen et al., 2016) mussten sich Probanden Bilder einzuprägen und wurden danach in drei Gruppen eingeteilt: Die eine musste sofort zum Sport (intensives Fahrradfahren), die zweite nach vier Stunden, die dritte gar nicht. Zwei Tage  später wurden alle drei Gruppen geprüft und es zeigte sich, dass diejenigen, die zwischen Lernen und Sport eine vierstündige Pause eingelegt hatten, alle anderen übertrafen. Magnetresonanztomografische Untersuchungen zeigten bei dieser Gruppe eine stärkere Aktivität im Hippocampus, was für die Bildung des Langzeitgedächtnisses entscheidend ist. Man vermutet, dass es an der Ausschüttung körpereigener Stoffe wie Dopamin und Noradrenalin liegt, die die Gedächtnisbildung unterstützen und die durch körperliche Aktivität in die Höhe getrieben wurden.

Schwimmen und Vokabellernen

Pruitt & Morini (2021) haben untersucht, welche Auswirkungen Bewegung und sportliche Aktivitäten auf das Erlernen von Vokabeln bei Kindern haben. Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren sollten neue Wörter lernen, bevor sie dann eine von drei unterschiedlichen Aktivitäten ausführten: Schwimmen, Fitness-Übungen oder das Ausmalen eines Bildes. Es zeigt sich, dass Kinder, die nach dem Lernen schwammen, beim anschließenden Vokabeltest besser abschnitten als die Kinder in den anderen Gruppen. Bewegung hilft offenbar bei der Kodierung neuer Wörter, was daran liegen könnte, dass Bewegung die Konzentration des neurotrophen Faktors im Gehirn erhöht. Neurotrophine sind körpereigene Signalstoffe, die zielgerichtete Verbindungen zwischen Nervenzellen bewirken bzw. den Fortbestand neuronaler Verbindungen sichern. Die stärkere Wirkung des Schwimmens führt man auf die Energiemenge zurück, die jede Übung dem Gehirn abverlangt, wobei Schwimmen eine Aktivität ist, die Kinder ohne viel Nachdenken oder Anleitung ausführen können, d. h., Schwimmen läuft quasi automatisch ab, während die Fitness-Übungen erst neu erlernt werden mussten und mehr mentale Energie erforderten.

Denken kann den Gehrhythmus beeinflussen

Untersuchungen von Killeen et al. (2017) zeigen, dass intensive Denkarbeit beim Gehen den Ablauf des Gehens beeinflussen kann. Männer und Frauen verschiedenen Alters wurden auf ein Laufband geschickt und sollten bei angenehmer Gehgeschwindigkeit sie Aufgaben des Stroop-Tests lösen. Es zeigte sich, dass die ProbandInnen mit zunehmendem Alter im Stroop-Test immer schlechter abschnitten und dass beim Lösen der Aufgaben der Schwung des rechten Arms gebremst und die Schwungbewegungen somit asymmetrisch wurden. Da die Verarbeitung von Sprachaufgaben in der linken Hemisphäre erfolgt, sind die Auswirkungen am rechten Arm zu sehen, denn dessen Bewegungen werden von der linken Hemisphäre gesteuert. Asymmetrische Schwungbewegungen zeigten sich jedoch bei jungen Frauen nicht, was vermutlich am Östrogspiegel liegen könnte.

Stroop Test

Normalerweise lernt man nach Ansicht der Linzer Kognitionspsychologin Manuela Macedonia etwa eine Einkaufs- oder Vokabelliste ohne Beteiligung des Körpers, indem man sie oftmals hinauf und hinunterliest und versucht, sich die einzelnen Worte einzuprägen. „Verknüpft man die einzelnen Wörter aber mit einer Bewegung, lernt man sie besser und vergisst sie langsamer.“ Dann schalten sich nämlich zwei Gedächtnissysteme für die Aufgabe zusammen: Jenes für das „Wissen“ (das deklarative Gedächtnis) und jenes für das „Können“ (das prozedurale Gedächtnis). Das deklarative Gedächtnis ist gemeinhin für Wörter, Namen, Listen und Fakten wie historische Daten zuständig. Wie Schüler bei Vokabeltests und Erwachsene beim Einkaufen im Supermarkt oft leidvoll erfahren, braucht es massive Anstrengungen beim Auswendiglernen, und es ist trotzdem nicht sehr verlässlich. Man vergisst schnell und leicht, was man sich rein durch geistige Aktivität zu merken versuchte. Wenn das prozedurale Gedächtnis beim Lernen dazugeschaltet wird, etwa indem man eine Bewegung zu den Wörtern und Fakten ausführt, hat man eine Steigerung der Lernleistung und eine Minderung des Vergessens. „Information, die prozedural gelernt wurde, ist weniger anfällig für Verfall“. Deshalb würde man über Jahrzehnte etwa das Radfahren, Schwimmen und Schilaufen nicht verlernen, selbst wenn man diese Aktivitäten in der Zwischenzeit gar nicht ausgeführt hat.

Siehe dazu: Bewegung kann das Lernen von Vokabeln erleichtern!

Literatur

Van Dongen, E. V.,  Kersten, I. H.P., Wagner, I. C., Morris, R. G.M. & Fernández, G. (2016). Physical Exercise Performed Four Hours after Learning Improves Memory Retention and Increases Hippocampal Pattern Similarity during Retrieval. Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2016.04.071.
Killeen, Tim, Easthope, Christopher S., Filli, Linard, Lőrincz, Lilla, Schrafl-Altermatt, Miriam, Brugger, Peter, Linnebank, Michael, Curt, Armin, Zörner, Björn & Bolliger, Marc (2017). Increasing cognitive load attenuates right arm swing in healthy human walking. Royal Society Open Science, 4.
Moon, Hyo Youl et al. (). Running-Induced Systemic Cathepsin B Secretion Is Associated with Memory Function,  Cell Metabolism, doi: 10.1016/j.cmet.2016.05.025.
Pruitt, Madison & Morini, Giovanna (2021). Examining the Role of Physical Activity on Word Learning in School-Aged Children. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 64, 1712-1725.
Stroop, J. Ridley (1935). Studies of interference in serial verbal reactions. Journal of Experimental Psychology, 28, 643-662.
Zimmer, Renate (2009). Handbuch Sprachförderung durch Bewegung. Freiburg: Herder.
OÖN vom 25. September 2021

Bildquelle: https://lexikon.stangl.eu/759/stroop-effekt-stroop-test/ (17-01-25)



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