98 Prozent der Bevölkerung haben ein durchschnittliches Lesetempo von 160 bis 170 Wörtern pro Minute, sind also etwa auf dem Stand von Schulkindern im Alter von elf bis zwölf Jahren einer Gymnasialunterstufe. Wer lesen lernt, muss jedes Wort mühsam entziffern, während geübte Leser Wörter als Ganzes erfassen, denn ihr Gehirn hat ein visuelles Lexikon angelegt. Bekanntlich muss das Gehirn beim Lesenlernen zahlreiche Informationen gleichzeitig verarbeiten, von der Orthographie über die Aussprache bis hin zur Bedeutung eines Wortes. Zunächst gleicht man dazu den Klang eines Wortes mit seinen einzelnen Buchstaben ab, weshalb Kinder neue Wörter deshalb häufig leise mitsprechen. Ist dieses Wort aber abgespeichert, ist dieser Prozess nicht mehr nötig, denn man erkennt das Wort mit einem Blick. Diese Unterschiede beim Lesen lassen sich auch mit Hilfe bildgebender Verfahren nachweisen. In einemmExperiment legte man Probanden unbekannte Phantasiewörter vor und zeichneten die Gehirnaktivität beim Lesen dieser Wörter auf. Danach erhielten die Teilnehmer Zeit für ein Vokabeltraining, nach dem sie erneut die Wörter lesen mussten. Vor dem Üben reagierten die Neuronen auf die Phantasiewörter unspezifisch, d. h., das Gehirnareal für die visuelle Repräsentation zeigte nur bei dazwischen gestreuten echten Wörtern eine Aktivität, doch nach dem Training waren die Neuronen vor allem in jenem Bereich aktiv, in dem das visuelle Wörterbuch lokalisiert ist. Die phonetische Repräsentation war hingegen nicht mehr aktiv.
In Europa liest nur rund ein Prozent der Erwachsenen mit einer Geschwindigkeit von 800 Worten oder mehr. Für ein zügiges und dennoch konzentriertes Lesen wäre ein Lesetempo von 300 bis 400 Wörtern erstrebenswert. Wie ist ein solches Lesetempo erreichbar?
Untersuchungen zeigen, dass Menschen Bilder innerhalb von Sekundenbruchteilen erfassen können. So sind auch nur Bruchteile von Sekunden sind notwendig, um ein ganzes Wort oder eine Wortgruppe, die wir kennen, wieder zu erkennen, wobei selbst unvollständige Worte oder Wortgruppen richtig gelesen werden. Dazu das schon berühmte Beispiel: „Ncah der Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät, ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wort setehn. Das ezniige Wcthiige ist, dsas der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Slelte snid. Der Rset knan ein ttoaelr Slaat von Bestachubn sien, tedztorm knan man ihn onhe geößrre Pemoblre lseen. Das ist daleshb so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gseatems.“
Schnelles Lesen wird durch verschiedene Faktoren verhindert, etwa eine zu niedrige Kurzspeicherkapazität, ein geringes Vokabular, das wiederholte Zurückspringen zu bereits gelesenen Stellen, das Wort-für-Wort-Lesen, zu lange Augenhalte auf dem Text oder das innere Mitsprechen von Wörtern.
Um schneller Lesen zu können, müssen deshalb diese Lesefehler aufgedeckt und korrigiert werden, wobei danach das Lesetempo mit verschiedenen Übungen, etwa mit kurzem und intensivem Geschwindigkeitslesen, mittels Taktgebern und anderen Techniken gesteigert werden kann. Vor allem geht es darum, die Konzentration beim Lesen zu steigern, die Blickspanne allmählich zu erweitern, die Fähigkeit des Memorierens zu erhöhen und auch den inhaltsorientierten Blick zu schulen. Dies kann auch in Eigenregie erfolgen, wobei es natürlich auch viele Seminare gibt, die oft marktschreierisch Wunderdinge versprechen. Auf diesem Markt herrscht eine verwirrende Vielfalt an Begriffneuschöpfungen, die letztlich mehr oder weniger alle dasselbe meinen. Mehr zu diesem Thema findet sich im Arbeitsblatt Schnelllesen, Photoreading und andere Wundermethoden.
Eine Lerntipp – nicht nur für Kinder geeignet – findet sind in Benjamins & Werners Praktischen Lerntipps: Hilf deinen Augen auf die Sprünge!