Eva Berendes hat in ihrem Text „Voraussetzung für das Bearbeiten von Sachaufgaben in der Grundschule“ (s. u.) herausgearbeitet, warum das Lösen von Textaufgaben bzw. Sachaufgaben einer der schwierigsten Bereiche im Mathematikunterricht zu sein scheint. Das Lösen von Textaufgaben sollte komplexe Denkprozesse wie das Verstehen von numerischer und/oder verbaler Information, das Umsetzen dieser Information in eine innere Repräsentation und das Entwickeln von Lösungsvorschlägen anstoßen. Das Lösen von Sachaufgaben erfordert dabei ein mehrstufiges, zielgerichtetes Vorgehen, bei dem eine sprachliche, bildhafte oder konkret präsentierte Situation in ein mathematisches Modell überführt werden muss. Die Bearbeitung erfolgt im Wesentlichen in vier Schritten, wobei dabei in der Regel die ersten Schritte entscheidend sind, denn bei der Analyse der Sachsituation geht es darum, die Problemstellung überhaupt zu verstehen. Dafür muss ein Kind über allgemeine Sprachkompetenzen verfügen.
Ein Kind muss also zunächst die beschriebene Situation kognitiv erfassen können, die relevanten Informationen entnehmen können und die verwendeten Fachausdrücke verstehen. Der gesamte Lösungsprozess wird daher von der Fragestellung bzw. dem Erkennen dieser Fragestellung geleitet, denn erst das ermöglicht ein zielgerichtetes Vorgehen, indem wichtige von unwichtigen Aspekten der Sachaufgabe getrennt werden. Fehler in dieser ersten Phase deuten darauf hin, dass ein Kind den Text entweder nicht verstanden hat oder sich erst gar nicht damit auseinandergesetzt hat. Möglicherweise hat das Kind versucht ein mathematisches Modell zu konstruieren, indem es nach typischen Anzeichen im Text sucht, die auf eine bestimmte Rechenoperation hinweisen. Dabei findet man verschiedene in die Irre führende Vorgehensweisen:
- Ausrichtung an den Zahlen im Text und den eigenen Kompetenzen, d. h., das Kind orientiert sich vorwiegend an den Zahlen im Text – schließlich ist es ja eine Aufgabe der Mathematik – und versucht sie der Reihenfolge nach miteinander in einer Rechnung zu verbinden. So deuten zum Beispiel zwei kleine Zahlen auf eine Multiplikationsaufgabe hin oder wenn erst eine große und dann eine kleine Zahl im Text vorkommen wird eine Subtraktionsaufgabe vermutet. Ebenso ist es möglich, dass das Kind eine Rechenoperation bevorzugt, die es gut kann und diejenigen vermeidet bei denen es sich nicht sicher fühlt.
- Ein Kind versucht anhand von Signalwörtern oder Schlüsselbegriffen, die es im Text entdeckt auf eine Rechnung zu schließen. Typische Formulierungen deuten auf eine bestimmte Rechenoperation hin, etwa Wörter wie „weniger“, „geringer“, „verbrauchen“ oder „abschneiden“ versteht es als Hinweis, die Zahlen in einer Subtraktionsaufgabe zu verarbeiten. Aus Begriffen wie „mehr“, „gewinnen“, „hinzukommen“ oder „sammeln“ schließt es auf eine Additionsaufgabe. Gerade schwächere Schüler suchen nach solchen Signalwörtern im Text ohne im Weiteren darauf zu achten, ob die dazu passende Rechenoperation als Lösung des Sachproblems überhaupt in Frage kommt. Allerdings können solche Schlüsselwörter vor allem zu Beginn hilfreich sein, was aber von der jeweiligen Fragestellung abhängt.
- Im Unterricht wird das Sachrechnen häufig grundsätzlich zur Anwendung der arithmetischen Kenntnisse zum Abschluss an die Vermittlung einer bestimmten Rechenart eingesetzt. Das kann zur Folge haben, dass ein Kind für die Lösung von Sachaufgaben den Gedanken verinnerlicht, dass immer das gerechnet werden muss, was gerade Unterrichtsstoff ist. Bricht aber eine Sachaufgabe aus dem gewohnten Schema aus, wird wie gewohnt die aktuelle Rechenart angewandt und auch absurde Ergebnisse werden hingenommen, wie die berühmte Berechnung des Alters des Kapitäns auf Grund von Längenangaben seines Schiffes.
Die zweite Phase ist der nächste wichtige Schritt des gesamten Prozesses, denn es muss ein Lösungsplan entwickelt und ein mathematisches Modell gefunden werden, d. h., das Kind muss die Sachsituation in die mathematische Sprache übersetzen. In dieser Phase sind kreative Fähigkeiten gefragt und das Gelingen ist abhängig vom mathematischen Wissen und Können des Kindes und davon, ob es über geeignete Darstellungsmittel verfügt. Diese müssen im Unterricht zuvor explizit eingeübt worden sein, damit die vollzogenen Denkprozesse graphisch oder durch das Bilden und Aufschreiben einer Rechenaufgabe verdeutlicht werden können. Das Überführen der Sachsituation in ein mathematisches Modell kann deshalb fehlerhaft sein, weil ein Kind den Text bzw. ein Bilder falsch interpretiert hat, wichtige Informationen nicht berücksichtigt oder etwas falsch gelesen hat. Schwierigkeiten bei der Umsetzung können auch dann entstehen, wenn die lösungsrelevanten Informationen im Text nicht in der gleichen Reihenfolge wie die zu erstellenden Rechenaufgaben angeordnet sind oder das Kind sich noch keine geeignete Methoden zur Veranschaulichung angeeignet hat. Möglicherweise hat es die Rechenoperationen nicht verstanden und kann daher die Aufgabe im Text gar nicht erkennen. Dabei können konkrete oder graphische Bearbeitungshilfen das Erkennen der mathematischen Struktur der Aufgabe und damit das Erstellen eines mathematischen Modells zur Lösungsfindung erleichtern, allerdings müssen diese zunächst selbst als eigener Lerninhalte den Kindern zugänglich gemacht werden, d. h., die Kinder müssen an das Anfertigen von Skizzen, Diagrammen und Tabellen herangeführt werden
Die Schüler müssen schließlich ihren Lösungsplan ausführen und hier die mathematischen Operationen durchführen, die in der vorigen Phase erarbeitet wurden. Es muss also eine adäquate Rechenaufgabe zur Lösung des Problems gefunden werden, wobei die Vorrausetzung dafür ist, dass das Kind die erlernten Grundrechenarten auf allen Ebenen erfasst hat, wobei es auch darauf ankommt, wie die zuvor gemachten Überlegungen und die Darstellung des Lösungsweges übereinstimmen.
Im letzten Schritt müssen die Kinder das Ergebnis auf Stimmigkeit überprüfen, d. h., sie müssen prüfen, ob das Ergebnis überhaupt möglich ist, wobei hier in erster Linie der Alltagsverstand gefordert ist und ob das Ergebnis überhaupt zur Fragestellung passt, indem die Antwort auf die Fragestellung rückbezogen werden muss. Möglicherweise muss der Text der Aufgabenstellung erneut gelesen werden, um die Ausgangssituation wieder präsent zu machen, d. h., in diesem Schritt muss die gedankliche Ebene erneut gewechselt werden: von der mathematischen Ebene zur sachbezogenen Ebene. Trotz korrekter Rechnung kann das Ergebnis im Widerspruch zu der Sachsituation oder zur Fragestellung stehen, sodass der Prozess eventuell erneut durchlaufen werden muss.
Siehe auch Warum Kinder Mathematik so wenig mögen!
Literatur
Berendes, E. (o. J.). Voraussetzungen für das Bearbeiten von Sachaufgaben in der Grundschule.
WWW: http://www.os-rechenschwaeche.de/pdf/wir_ueber_uns/Voraussetzungen-fuer-das-Bearbeiten-von-Sachaufgaben-in-der-Grundschule.pdf (15-11-14)
Mengel, W. (2004). Wir erfinden Textaufgaben. Ein motivierender Ansatz zum Umgang mit Textaufgaben in einem 2. Schuljahr. Grundschulunterricht, 51, 19 – 25.
Radatz, H. & Schipper, W. (1983). Handbuch für den Mathematikunterricht an Grundschulen. Hannover: Schroedel-Verlag.
Rasch, R. (2009). Textaufgaben in der Grundschule. Lernvoraussetzungen und Konsequenzen für den Unterricht. mathematica didactica, 32, 62-92.